Langer Legalisierungsweg der Homosexualität
Die Ehe für alle ist in Deutschland unter Dach und Fach: Nach jahrelanger Debatte wurde am 30. Juni 2017 vom Bundestag das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts mit der Mehrheit beschlossen. Eine Woche später billigte auch der Bundesrat das Gesetz. Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) wird festgeschrieben: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“ Voraussichtlich können die ersten Ehen von Homosexuellen ab dem 1. Oktober geschlossen werden. Dann dürfen gleichgeschlechtliche Paare auch gemeinsam Kinder adoptieren. Mit der Ehe für alle ist die komplette Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben in Deutschland gemeint. Das war dennoch ein sehr langer Weg zur Legalisierung.
Natürliche gleichgeschlechtliche Neigungen
Lange Zeit galten Homosexuelle als psychisch krank. Ärzte behandelten Schwulen mit Elektroschocks oder operierten ihre Gehirne. Heute dagegen ist klar, dass gleichgeschlechtliche Neigung völlig natürlich ist und kein selbst erwählter Lebensstil. Forscher vermuten, dass sie schon vor der Geburt entsteht.
Wohl fast drei Prozent der Männer und gegen 1,5 Prozent der Frauen bezeichnen sich in den westlichen Industrienationen als schwul oder lesbisch; sie begehren ausschließlich das eigene Geschlecht. Daraus folgt freilich nicht, dass diese Menschen mit ihrer geschlechtlichen Identität hadern: Schwule und Lesben fühlen sich genauso als Mann beziehungsweise als Frau wie heterosexuelle Männer und Frauen auch.
Abschaffen des „Paragraph 175“
„175er“ - so wurden Schwulen jahrzehntelang abwertend genannt, weil sie im Paragraph 175 des Strafgesetzbuches illegalisiert wurden. Ursprung dieser Gesetzgebung war das Reichsstrafgesetzbuch von 1872. Unter nationalsozialistischer Herrschaft wurde der Paragraph 175 deutlich verschärft. Nach dem Krieg existierte er in der noch jungen Bundesrepublik nach wie vor. In der Folge der 68er-Bewegung und der sexuellen Revolution zeigte sich auch ein sozialer Wandel. Bundesweit organisierte sich eine Homosexuellenbewegung. Mit der gesellschaftlichen Liberalisierung änderte sich auch das politische Klima in Deutschland. Mit der Reform des Strafgesetzbuches im Jahr 1969 wurde der Paragraph 175 zum ersten Mal in der Bundesrepublik geändert. Homosexualität unter erwachsenen Männern über 21 war nun keine Straftat mehr. 1973 wurde das Alter auf 18 Jahre herabgesetzt. Bis in die 1990er Jahre wurde in Deutschland der Paragraph 175 weiterhin angewendet. Erst im Zuge der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten wurde er im März 1994 endgültig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.
Der Weg zu mehr Respekt dauert noch an
Schwule und Lesben können heute in Deutschland und einigen anderen Ländern offen leben und heiraten. Doch der Weg zu mehr Respekt ist noch lang. Weltweit werden Homosexuelle noch immer diskriminiert. In einigen Staaten wird Schwul-Sein sogar mit dem Tod bestraft. Wer über Homosexualität nachdenkt, hat es auch heute noch vor allem mit Vorurteilen zu tun.
Zwar nahm die soziale Verachtung mit der Ehe für alle ab. Doch ist die Diskriminierung nicht beendet. Heute hängt es vor allem von Bildung, Alter, Kirchennähe und Wohnort ab, ob Menschen etwas gegen Schwule und Lesben haben; auf dem Land ist die Akzeptanz geringer als in der Stadt.
Nach einer Umfrage ekeln sich vierzig Prozent der Deutschen, wenn Frauen oder Männer einander küssen. Vor allem haben sehr traditionelle Menschen Schwierigkeiten, Homosexualität zu akzeptieren: Sie halten lieber an den Sicherheiten fest, die sie gelernt haben. Migranten, die in der Fremde ganz neu anfangen mussten und denen oft nicht viel aus ihrem vorigen Leben geblieben ist, halten Tradition und Familie meist besonders hoch. Folglich haben in solchen Milieus Schwule und Lesben kaum eine realistische Chance, sich zu outen.